Gegenübertragungen in der Supervision und ihre institutionelle Bedingtheit

Was versprechen Supervisoren (s. 1) mit ihren Supervisionsangeboten? - Immer wieder steht in Akquisitionspapieren zu lesen, "Supervision soll dazu beitragen, die Arbeitsverhältnisse befriedigender zu gestalten." Manchmal steht neben "befriedigend" noch das relativierende, weil zumindest im sogenannten "sozialen Arbeitsfeld" sehr viel weniger eindeutig positiv besetzte, "effektiv". Leicht wird der Eindruck erweckt, nach der Supervision geht es allen viel besser. Damit ist ein Thema angeschlagen, das weiter unten im Zusammenhang mit der Frage nach den Motiven, die jemanden Supervisor werden lassen, noch einmal aufgegriffen wird.

Was ein Supervisor auf dem Markt anbietet, ist seine Kompetenz als Supervisor. Er tritt mit möglichen Klienten und Klientenfeldern in Verbindung, damit diese sich entscheiden, mit ihm einen Supervisionskontrakt zu vereinbaren. Gleichberechtigte Partner vorausgesetzt (conditio sine qua non), dann ist der Supervisor verpflichtet, seinen Kompetenzbereich möglichst klar und für den Kunden nachvollziehbar zu beschreiben. Wenn für den Supervisor im Bereich seiner supervisorischen Kompetenz Klarheit über Sicherheiten und Unsicherheiten besteht, wenn er folglich seine Stärken und Schwächen vor sich nicht zu verbergen braucht, dann kann er sich ernsthaft am Klientennutzen orientieren.

Von Ausbildungskandidaten und auszubildenden Supervisoren der DGSD wird häufig der Wunsch nach beruflicher Veränderung als bestimmend angegeben, das Wort vom "zusätzlichen Standbein" macht dabei die Runde: Das angestammte Berufsfeld wird als unbefriedigend erlebt, der Veränderungswunsch/-druck ist groß.

Ein zweiter Motivationsstrang wird genährt von der Ausstrahlung oder dem Charisma der Gründereltern Geißner/Euschen: So werden wie sie; Menschen bewegen wie sie. Diese Wünsche werden meist nicht eingestanden, sondern verleugnet und ins Unbewußte verbannt. Neben Idealisierungen und Minderwertigkeitsgefühlen werden in der Folge Abhängigkeitsbedürfnisse produziert, die dann wiederum nach Befriedigung verlangen. Auswirkungen zeigen sich besonders deutlich bei den derzeitigen Umbrüchen innerhalb der DGSD: Aggressionen, Enttäuschungen, Abwertungen gegenüber Personen und Institution DGSD finden statt.

Als weiteres Symptom, hinter dem der Wunsch nach Abhängigkeit steht, interpretiere ich die erstaunliche Zunahme von Trainerausbildungsgruppen, in denen sich eine ansehnliche Anzahl vom ausgebildeten DGSD-Supervisoren findet. Vermutlich ist in den meisten Fälle der Wunsch, das bisherige Abhängigkeitsverhältnis zu den "Eltern" in eine neue Ausbildung hinein zu verlängern, eine entscheidende Triebfeder.

Veränderung im bisherigen Berufsfeld und Dependenzwünsche, zwei Motivationsstränge, die einen Nährboden für Gegenübertragungen im Supervisionsgeschehen abgeben. Sie sind geeignet, stilbildend zu wirken. Wenn der Begriff Gegenübertragung aus der psychoanalytischen Theorie hier sinnvoll als Analyseinstrument eingesetzt werden kann, dann sicherlich nicht im klassischen Sinne von Sigmund Freud, der ihn eng an den Begriff der Restneurose anbindet (s. 2).

Vielmehr lehne ich mich an Otto F. Kernbergs Auffassung an, die er als "ganzheitlich" ("totalistic approach") charaktirisiert. In dieser Sicht stellt sich die Gegenübertragung dar als die gesamte emotionale Reaktion des Psychoanalytikers (des Supervisors) auf den Patienten (Supervisanden) in der Behandlungssituation (Supervisionssituation). (s. 3)

Kernberg stellt nicht die Forderung auf, Gegenübertragungen zu vermeiden, wie es die klassische Psychoanalyse tut, er plädiert vielmehr dafür, Gegenübertragungsreaktionen wiederum zum Gegenstand der Analyse zu machen. In diesem Zusammenhang hebt er auf Identifizierungen im Rahmen von Gegenübertragungen ab. Er unterscheidet zwei Typen, nämlich die konkordante und die komplementäre Identifizierung. Die erste richtet sich auf einzelne Teile des psychischen Apparats des Patienten (Ich auf Ich, Über-Ich auf Über-Ich). Bei der zweiten Art werden beim Analytiker die Gefühle hervorgerufen, die vom Patienten dem Übertragungsobjekt zugeschrieben werden. (s. 4)

Was können die oben skizzierten Motivationsstränge bewirken? Sehr schnell diagnostiziert der Supervisor: Veränderung beim Supervisanden tut not. Spekuliert schon über die Wege dahin, schränkt seine Wahrnehmung dahingehend ein, daß die Diagnose gestützt wird. Der Supervisand gerät unter Druck, widersetzt sich oder folgt den Vorschlägen des Supervisors, es tut sich was in der Supervision. Fragt sich nur zu wessen Nutzen! Gegenübertragung als Delegation, die verhindert, die Arbeitssituation des Klienten via Supervision transparenter, durchschaubarer zu machen?

Der zweite Strang Abhängigkeit von den "Eltern" erscheint mir noch bedeutsamer, weil er sehr viel eher geeignet ist zu einer chronischen Gegenübertragungs-Fixierung zu gerinnen. Gegenübertragungen in der Supervision sollten GEgenstand der Nacharbeit sein, um mit den erreichten Klärungen im Interesse des Klienten weiterzuarbeiten. Die beruflichen Veränderungswünsche des Supervisors als Grundlage von Gegenübertragungen sind ihm in der Regel sehr viel leichter zugänglich als die Abhängigkeitsproblematik, an der meist ein ganz im Dunkel liegender biographischer Rattenschwanz angehängt ist, der dem Bewußtsein nur schwer zugänglich ist, sich immer wieder entzieht.

Ungelöste Abhängigkeitswünsche gegenüber den Ausbildungseltern produzieren Unsicherheiten in Bezug auf die eigene supervisorische Kompetenz. Abwertung der eigenen Arbeit kann sich einstellen. Dann begibt man sich auf die Suche nach immer neuen Methoden (hier auch neue Ausbildungen!). Statt Abwertung kann sich aber auch eine Überschätzung der eigenen Kompetenz einstellen, womit eine kritische Selbstreflexion des Supervisionsgeschehens ausgeschlossen ist. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten tut sich ein weites Feld auf, angefangen mit den vielfältigen Schattierungen der Situationsdominanz durch den Supervisor bis hin zu den Haltungen, "ich habe in der Ausbildung gelernt, daß dies gut ist", oder "mein Mastersupervisor findet das gut".

Das Berufsbild des Supervisors ist aber keine individuelle, sondern eine gesellschaftlich, institutionell vermittelte Schöpfung. (s. 5) Es erhebt sich hier die Frage, wie der Hang zum Unbewußten in beiden oben beschriebenen Themenkomplexen innerhalb der DGSD zur weiteren beruflichen Qualifizierung in bester aufklärerischer Tradition genutzt werden kann?

Als Kommunikationsprozess erhebt Supervision den Anspruch, einen herrschaftsfreien Raum zu bieten, in dem gleichberechtigte und der Mündigkeit verpflichtete Partner aufeinandertreffen. Dieser Anspruch ist unter den oben skizzierten Gegenübertragungswirkungen kaum aufrechtzuerhalten, es sei denn das in den einzelnen Supervisoren- Ausbildungen für jeden einzelnen intendierte Weiterbildungscuriculum wird dergestsalt ernstgenommen und verwirklicht, daß Gegenübertragungen zum Lerngegenstand des Supervisors werden.

Dies ist aber nicht nur eine berufsethische Entscheidung, sondern auch eine eminent politische: Herrschaftsfreie Kommunikation impliziert Konfliktfähigkeit als Supervisionserfahrung. Ich kann als Supervisor im Zustand unbewußter Gegenübertragungen verharren und meine Wahrnehmungen entsprechend organisieren. Dabei entsteht im Supervisionsprozess durchaus eine hohe Dynamik, die gerne als Anzeichen für eine gute Supervision gewertet wird. Der Supervisor hat allen Grund, sich bestens zu fühlen und wird nicht einmal merken, daß sein Nutz und Frommen im Vordergrund steht und daß die Supervisanden dafür in jeder Hinsicht bezahlen.  


aus: "Vorläufige Texte", S. 64 ff., Denzlingen, 1994  

Philipp Fehrenbach, Supervisor und Mastersupervisor (DGSD)



1. Ich stütze mich bei den folgenden Ausführungen auf meine Erfahrungen und Diskussionen mit Supervisor/innen im Rahmen der DGSD
2. Freud, S.: Bemerkungen über Übertragungsliebe. Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse III, in: ders.: Schriften zur Behandlungstechnik, (=Studienausgabe, Ergänzungsband) Frankfurt/M. 1982, S. 21 ff.; Nagera, Humberto: Psychoanalytische Grundbegriffe. Eine Einführung in Sigmund Freuds Terminologie und Theoriebildung, Frankfurt/M. 1987, S. 514 ff
3. Kernberg, Otto F.: Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus, Frankfurt/M, 1978, S. 68 ff.; ders.: Innere Welt und äußere Realität. Anwendungen der Objektbeziehungstheorie München/Wien, 1988, S. 239 ff.
4. Hier könnte die Spur Resonanzphänomen verfolgt werden, würde aber zu weit vom Thema abführen.
5. Hier lehne ich mich an an Erdheim, Mario: Über das Lügen und die Unaufrichtigkeit des Psychoanalytikers, in Lohmann, H.H.; Das Unbehagen in der Psychoanalyse, Frankfurt/M., 1985, S. 10 ff.